Inspiration für 2017

2017-01-15 19:02
von Susanne Günsch

Reisen bildet

Mit diesen Erlebnissen kehrte ich im Januar 2017 von einer Reise zurück:

ich wünsche Ihnen und Euch ein gutes Jahr 2017 - vor allem Gesundheit, denn ohne sie ist alles nichts; wir brauchen aber auch wieder ein Gefühl des Miteinanders, damit unsere Gesellschaft zusammensteht und Populismus und Ausgrenzung keine Chance haben. Das ist die wesentliche Voraussetzung für Frieden.
Die aktuelle Situation in Europa und der Welt bringt mich auf die Anfänge der Reggiopädagogik zurück, die ihre Wurzeln unter dem Eindruck des 2. Weltkrieges in der Emilia Romagna hatte. Die Menschen des Dorfes kamen zusammen und stellten sich die Frage: „Wie wollen wir, daß unsere Kinder aufwachsen, damit so etwas nie wieder geschieht?“ Bis heute sind Beziehung, Kommunikation, Freundschaftsbildung und Beteiligung handlungsleitende Grundprinzipien dieser Pädagogik. Ich denke, daß sie auch eine wichtige Basis für menschliches Miteinander sind, wenn es darum geht, dem zunehmenden Nationalismus in Europa zu begegnen. Auch ErzieherInnen brauchen eine Position, ihre Arbeit in der frühkindlichen Bildung ist ja nicht unpolitisch. Was geben sie heute den Kindern an Grundwerten mit auf den Weg?
Dieser Neujahrsgruß kommt deswegen erst jetzt, weil ich verreist war. Ich habe mich dem weihnachtlichen Konsumrausch nach Cabo Verde entzogen. Dieses Land ist besser bekannt als Kapverdische Inseln, südlich der Kanaren vor der Küste Senegals und Gambias im Westen Afrikas. Es ist ein freies demokratisches aber auch armes Land. Doch es sind das Land mit seiner Kultur und die Menschen, die diese Reise für mich unvergesslich machen. Sicherlich erhole ich mich auch, dennoch unterscheide ich zwischen Urlaub machen und reisen. Diese Reise hat mich sowohl als Fortbildnerin für ErzieherInnen in Kitas als auch Gründerin der Remida inspiriert. Trotz materiellen Mangels habe ich glückliche, entspannte Menschen erlebt. Ja, ein Teil der Entspanntheit ist auch auf die hohe Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Meine Neugier und das Zurückstellen von Erwartungen ermöglichen einen offenen Blick darauf, wie dort Zusammenleben organisiert ist und funktioniert. Da wird eine 3-stöckige Torte auf dem Schoß im Kleinbus über Land transportiert; die Bäckerei, die wie eine Garage aussieht und keine Ladentheke hat – wo man aber trotzdem Kuchen bekommt; die unbekannten Früchte und Kräuter auf den lokalen Märkten und das karge Feuerwerk zu Silvester, weil die Menschen ihr Geld für wichtigere Dinge benötigen als kurzfristiges Spektakel.
Ich möchte Ihnen und Euch meine Fotokollektion kapverdischer Weihnachtsbäume nicht vorenthalten:
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Es mangelt nicht an Kreativität, Phantasie und Vorstellungskraft. Hier werden die lokalen Ressourcen verwendet, und Nordmanntannen gehören eben nicht dazu – dennoch ist das Bild Weihnachtsbaum erkennbar.
Besonders berührt hat mich die Einrichtung eines Restaurants. Das Mobiliar aus Fundholz, die Decke bespannt mit unzähligen Pareos und liebevolle Details machten das Essen dort zu einem besonderen Erlebnis. Der simplen Speisekarte war ein Blatt vorangestellt, das die Philosophie des Ortes beschrieb: Es ist nicht nur ein Restaurant, sondern ein Ort wo sich Kulturen, Ideen, Farben, Geschmäcker und Gerüche mischen. Mit viel Arbeit recycelten sie Materialien vom Strand und der
Straße, von denen man sagt, sie seien wertlos. Sie bieten eine moderne Version der traditionellen Seele dieser Insel: einfach, manchmal arm aber immer voller Würde.
Eine Steilvorlage für jede Einrichtungskonzeption! Während ich mich so umsah beim Warten auf mein Essen, wurde für mich wieder deutlich, was Räumen Seele verleiht. Es war Genuss für die Augen und sorgte für Wohlbefinden – eine wichtige Inspiration für meine Beratungen zu Raumgestaltungen in Kitas.
Ja, Reisen bildet, auch wenn es keine Bildungsreise im konventionellen Sinne ist. Aber was ist schon konventionelle Bildung? Und was lernt man außerhalb der Konventionen? Es ist das sich einlassen auf Fremdes. Das Entdecken von Neuem. Das Vertrauen in Menschen. Das Aushalten von Ungewissheiten.
Mit diesen Eindrücken starte ich ins Jahr 2017. Ich freue mich auf Begegnungen mit Menschen, die sich und ihre Einrichtung weiterentwickeln möchten. Dazu stehe ich weiterhin mit meinen Überzeugungen und Leidenschaft hinsichtlich Offener Arbeit, Reggiopädagogik, Raumgestaltung und der dabei nötigen Aufmerksamkeit gegenüber den Kindern und der Umwelt. Die Remida feiert in diesem Jahr ihren 10. Geburtstag und verknüpft weiterhin auf wunderbare Weise ästhetische Bildung, Kreativität und Nachhaltigkeit. Als Idee aus Reggio Emilia und Bildungsort steht sie für Umweltbewußtsein und Recycling.
Vor allem aber bleibt für mich der Faktor Mensch essentiell: in der Beziehung, in der Kommunikation und Partizipation, in der Entwicklung und Kooperation. Bezieht man sich wirklich auf sein Gegenüber, ob nun Kind, Elternteil oder KollegIn, bewegt man sich in einem anderen Tempo, als der „Tagesablauf“ vorzugeben scheint. Bildung geschieht in Beziehung und Lernwege kann man nicht abkürzen oder beschleunigen. Achtsamkeit bringt einen den Prozessen ein wenig näher.


tl_files/guensch/Bilder/DSCF3209.JPGDiese Schildkröte aus all dem Schrott von Fahrzeugen am Strand – ja, auch dort wo Schildkröten einmal jährlich zur Eiablage ankommen, ist ein kreatives Mahnmal für einen respektvollen Umgang mit der Welt. Schildkröten sind faszinierende Tiere: Sie sind uralt, also erdgeschichtlich betrachtet, sie kehren immer wieder an ihren Geburtsstrand zurück und sind langsam und behäbig.

Ich möchte Ihnen abschließend noch diese Geschichte mit ins neue Jahr geben: Der schwarze Punkt:
Eines Tages kam ein Professor in die Klasse und schlug einen Überraschungstest vor. Er verteilte sogleich das Aufgabenblatt, das wie üblich mit dem Text nach unten zeigte. Dann forderte er seine Studenten auf die Seite umzudrehen und zu beginnen. Zur Überraschung aller gab es keine Fragen – nur einen schwarzen Punkt in der Mitte der Seite. Nun erklärte der Professor folgendes:
„Ich möchte Sie bitten, das auf zuschreiben, was Sie dort sehen.“ Die Schüler waren verwirrt, aber begannen mit ihrer Arbeit.
Am Ende der Stunde sammelte der Professor alle Antworten ein und begann sie laut vorzulesen. Alle Schüler ohne Ausnahme hatten den schwarzen Punkt beschrieben – seine Position in der Mitte des Blattes, seine Lage im Raum, sein Größenverhältnis zum Papier etc. Nun lächelte der Professor und sagte:
„Ich wollte Ihnen eine Aufgabe zum Nachdenken geben. Niemand hat etwas über den weißen Teil des Papiers geschrieben. Jeder konzentrierte sich auf den schwarzen Punkt – und das gleiche geschieht in unserem Leben. Wir haben ein weißes Papier erhalten, um es zu nutzen und zu genießen, aber wir konzentrieren uns immer auf die dunklen Flecken.
Unser Leben ist ein Geschenk, das wir mit Liebe und Sorgfalt hüten sollten und es gibt eigentlich immer einen Grund zum Feiern – die Natur erneuert sich jeden Tag, unsere Freunde, unsere Familie, die Arbeit, die uns eine Existenz bietet, die Wunder, die wir jeden Tag sehen …….
Doch wir sind oft nur auf die dunklen Flecken konzentriert – die gesundheitlichen Probleme, der Mangel an Geld, die komplizierte Beziehung mit einem Familienmitglied, die Enttäuschung mit einem Freund, Erwartungshaltung usw.
Die dunklen Flecken sind sehr klein im Vergleich zu allem, was wir in unserem Leben haben, aber sie sind diejenigen, die unseren Geist beschäftigen und trüben.
Nehmen Sie die schwarzen Punkte wahr, doch richten Sie Ihre Aufmerksamkeit mehr auf das gesamte weiße Papier und damit auf die Möglichkeiten und glücklichen Momente in ihrem Leben und teilen Sie sie mit anderen Menschen!

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