Eine Hymne auf das Spielen

2016-07-20 09:27
von Susanne Günsch

heute wieder nur gespielt?

… der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur ganz Mensch, wo er spielt. So schrieb Friedrich Schiller in „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“.
Wirft man einen Blick auf spielende Kinder, so sieht man mit welcher Ernsthaftigkeit und Konzentration sie ihr Spiel verfolgen. Spielen beinhaltet die Kooperation mit anderen, Abstimmung, Ko-Konstruktion, streiten, Abwägen, Kommunikation. Spielen besteht aus Ausprobieren, Wiederholen, sich vergewissern. Es ist Lust, es ist Frust. Es ist eine intensive Auseinandersetzung – mit sich selbst, den anderen Kindern, den Dingen, der Umgebung, ggf. mit den Erwachsenen. Gleichzeitig sieht spielen so leicht aus, wirkt vergnüglich. Es ist Beziehung und Freundschaft. Es ist so komplex und doch haben wir dafür nur dieses eine leichte Wort: Spielen.
Ob Spielen im Freien wie Fangen oder Verstecken – aber auch das Spiel im Sand, mit Steinen und Stöcken, mit Tieren und Pflanzen usw. oder spielen drinnen in der Höhle unterm Tisch, mit Küchenutensilien… Spiel ist selbstbestimmt: Die Kinder bestimmen mit wem, wie, wo, womit, wie lange und was sie spielen. Es ist sowieso frei – Der Begriff Freispiel somit doppelt gemoppelt. Im Spiel spüren sie ihre eigene Wirksamkeit. Sie sammeln ihre Erfahrungen. Sie lernen.
Warum ist dann eine so häufige Frage von Eltern beim Abholen ihrer Kinder aus der Kita: „Hast du heute wieder nur gespielt?“ Steckt darin die Vermutung, daß Spielen nicht Lernen ist? Die Auffassung, daß Lernen nicht frei und vergnüglich sein darf? Daß man eben nichts lernt, wenn man nichts muss? Ist es die Vorstellung, daß Lernen sitzend am Tisch im Beisein eines Erwachsenen stattfindet?
Das Spiel ist die Arbeit des Kindes. Kinder sind häufig länger in der Kita, als die Eltern auf Ihren Arbeitsstellen. Spielen ist Eigensinn und Selbstbestimmung. Und sie brauchen dabei eher Sachen zum Spielen als Spielsachen. Lust und Leistung sind Zwillinge. Und wer der Ansicht ist, daß spielen mit Leistung nichts zu tun hat und Kinder ja nicht dauern machen können, was sie wollen dem sei folgender Gedanke von Johannes Conrad ans Herz gelegt: Wenn ich nur darf, was ich soll. Aber nie kann, wenn ich will. Dann mag ich auch nicht, wenn ich muss. Wenn ich aber darf, wenn ich will. Dann mag ich auch, wenn ich soll. Und dann kann ich auch, wenn ich muss.
Spielen ist Lernen und Bildung ist das was übrig bleibt, wenn man das Gelernte wieder vergessen hat. Es gibt Dinge, die lernen Kinder nur im Spiel.
Ein grundlegendes Element unserer Kultur ist das Spiel. Der Mensch ist ein Spieler – und ohne seine Lust und Fähigkeit zum Spielen hätten sich ganze Bereiche seiner Kultur nicht entwickelt: die Dichtung, das Recht, die Wissenschaft, die bildende Kunst, die Philosophie und viele andere.  Johan Huizinga hat in „Homo Ludens“ (1938) eine Theorie der Kultur entworfen, in der er dem Denker (homo sapiens) den Menschen als Spieler (homo ludens) an die Seite stellt.
Spiel ist eine wichtige Voraussetzung für Innovation.  In die Theorie des Entrepreneurship und die Managementtheorie hält das Konzept des ludischen Innovationsverhaltens Einzug. In eine ähnliche Richtung weist das Konzept des Design Thinking, das eine spielerische Haltung erfordert, welche den Ballast des Vorgegebenen und Angeeigneten (vor allem in Form der etablierten technischen und Softwarelösungen) abstreift.

Im Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan heißt es dazu: Aber zugleich will kein Kind nur spielen, es will auch mit realem Leben und ernsthaftem Tun befasst sein.
In den Hamburger Bildungsempfehlungen heißt es „… daß Erzieherinnen das Spiel nicht für angebliche Bildungszwecke benutzen sollen. Spiel ist eine zweckfreie Tätigkeit der Kinder. Es darf nicht umgebogen werden, um ein von den Erwachsenen vorgegebenes Ziel zu erreichen.“
Ich sehe beide Ansätze kritisch: während der bayerische Satz impliziert, daß Spielen eben nicht ernsthaft im realen Leben ist, versucht auch Hamburg hier Spielen von der Bildung zu trennen. Und aus wessen Perspektive ist Spielen zweckfrei? Ich bin der Überzeugung, daß Spielen für die Kinder sehr motiviert und zielgerichtet ist. Die Kunst für die Erwachsenen besteht darin, sehr aufmerksam winzige Impulse zu geben, um „Öl ins Feuer der Neugier“ der Kinder zu gießen. Wenn beide auf Augenhöhe spielen passiert Begegnung, entsteht Beziehung – dann wird auch die ErzieherIn zur Lernenden.
Zum Weiterlesen viel mehr dazu im TPS 1/2015 „Spiel“.

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